Der Einstieg in Wikipedia

17.11.2012

Wenn in Unternehmen über das Thema Social Media gesprochen wird, fallen besonders häufig als erstes die Begriffe Facebook und Twitter. Vermutlich weil diesen Plattformen immer noch der Reiz des Neuen anhaftet. Weit seltener ist von der schon deutlich in die Jahre gekommenen freien Enzyklopädie Wikipedia die Rede. 2001 gegründet wächst das ausschließlich von Freiwilligen erstellte Nachschlagewerk auch heute noch unaufhörlich und umfasst mittlerweile allein in deutscher Sprache über 1,4 Millionen Einträge.

Gerade für Unternehmen hat Wikipedia eine enorme Relevanz gewonnen. Denn sie ist oft genug erste Anlaufstelle bei der Suche nach Unternehmensinformationen. Im Rahmen des FTSE100 Online Audience Report wurde kürzlich die Relevanz von Social Media Plattformen als Traffic-Quelle für Coporate Websites aus dem britischen Aktienindex untersucht. Demnach ist Wikipedia mit 52% der mit Abstand wichtigste Lieferant von Besuchern für Unternehmens-Websites im Social Web. Erst mit deutlichem Abstand folgen LinkedIn (22%) und Facebook (18%).

Die Dominanz der Wikipedia zeigt sich auch deutlich im Google-Ranking. Bei der Suche nach fast jedem etwas bedeutsameren Unternehmen erscheint der entsprechende Wikipedia-Artikel unter den ersten Suchtreffern, manchmal sogar noch vor dem offiziellen Auftritt des Unternehmens oder zumindest direkt dahinter. Die Darstellung in der Wikipedia hat damit einen enormen Einfluss auf die Online-Reputation eines Unternehmens.

Kein Wunder also, dass immer mehr Unternehmen ihre Darstellung in der Wikipedia wichtig ist und sie diese verbessern möchten. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund verständlich, dass Unternehmensartikel in der Wikipedia eher von bescheidener Qualität sind. Die Ursache dafür liegt im besonderen Entstehungsprozess, dem kollaborativen Ansatz, begründet.

Interesse der Wikipedianer oft nur punktuell

Im Unterschied zu anderen Nachschlagewerken und den meisten Online-Plattformen steht hinter Wikipedia keine zentral organisierte Redaktion. Ob und in welcher Art sich die freiwilligen Autoren an der Erstellung oder Verbesserung eines Artikels beteiligen, hängt zunächst von ihrer persönlichen Motivation ab. Allzu häufig haben Wikipedianer – so nennen sich die aktiven Autoren der Wikipedia - nur ein punktuelles Interesse an einem Unternehmen, zum Beispiel weil sie an einem anderen Thema arbeiten und sich dadurch ein Bezug zum Unternehmen ergeben hat. Das mag auch am Mangel von guten, umfassenden Sekundärquellen liegen. Denn nur für wenige, besonders relevante Unternehmen gibt es verlässliche und unabhängige Quellen, die das Unternehmen umfassend behandeln und als verlässliche Quelle für Wikipedia-Artikel dienen können.

Unter den 6000 von der Wikipedia-Community als besonders „Lesenswert“ oder „Exzellent“ ausgezeichneten Artikel sind gerade einmal 25 Unternehmensartikel. Am mangelnden Interesse der Leser an Unternehmensinformationen kann es kaum liegen. Artikel von bekannten deutschen Unternehmen kommen leicht auf mehrere Tausend Aufrufe täglich allein in der deutschsprachigen Wikipedia.

Vor diesem Hintergrund könnte man vermuten, dass die Wikipedia-Community ein großes Interesse an der Mitwirkung von Unternehmen haben müsste. In Teilen stimmt dies, doch es ist keineswegs als uneingeschränkte Einladung zu verstehen, sich in das „Abenteuer Wikipedia“ zu stürzen. Vor der Mitwirkung muss man sich vergegenwärtigen, dass Wikipedia ein Gemeinschaftsprojekt ist. Anders als auf anderen Social Media Plattformen wie Facebook oder Twitter haben Unternehmen hier kein eigenes Profil. Unternehmensartikel sind nicht Darstellungen vom Unternehmen, sondern Beiträge über Unternehmen. Die aktiven Autoren der Wikipedia betrachten die Enzyklopädie als ihr Gemeinschaftswerk. Neue Mitarbeiter sind zwar grundsätzlich willkommen, sollten dabei aber behutsam vorgehen. Sie müssen sich ihre Reputation als konstruktiver Mitarbeiter an der Wikipedia erst erarbeiten.

Weil sich Unternehmen in der Vergangenheit oft als Elefant im Porzellanladen verhalten haben, sind Teile der Wikipedia-Gemeinschaft der Mitwirkung von Unternehmen gegenüber kritisch eingestellt. Einige von ihnen lehnen die direkte Mitwirkung von Unternehmen an den sie betreffenen Artikeln sogar kategorisch ab. Vergleichsweise ausgeprägt ist diese Haltung in der englischsprachigen Wikipedia. Deutlich offener gibt sich die deutschsprachige Community. Dennoch gibt es auch hier wichtige Regeln zu beachten.

Einstieg in die aktive Mitwirkung

Unkritisch aus Sicht der Wikipedia-Gemeinschaft ist die indirekte Mitwirkung über die Diskussions­seiten. Die zu jedem Artikel gehörende Diskussionsseite dient den Autoren der Wikipedia zum Dialog über die Verbesserung des Artikels. Sie ist daher der richtige Ort, um Fragen oder Verbesserungs­vorschläge anzubringen. Besonders dankbar sind Wikipedianer in aller Regel für konkrete Vorschläge zur Ergänzung des Artikels oder Hinweise auf veraltete Informationen. Wichtig sind hier Quellen­angaben, die Daten oder Aussagen belegen können. Die Berufung auf die eigene Kenntnis als Mitarbeiter des Unternehmens reicht hierbei in aller Regel nicht aus.

Bei allen Aktivitäten von Unternehmen innerhalb der Wikipedia ist Transparenz das oberste Gebot. Auch wenn Wikipedia die anonyme Mitarbeiter ohne Anmeldung ermöglicht, sollten sich Vertreter von Unternehmen vor einer Mitarbeit immer anmelden. Um sich nicht dem Vorwurf der verdeckten Einflussnahme auszusetzen, sollte auf der eigenen Benutzerseite unbedingt ein deutlicher Hinweis auf die eigene Beziehung zum Unternehmen angebracht werden.

Allzu oft ist es in der Vergangenheit vorgekommen, dass unbedachte Änderungen einzelner Mitarbeiter zu Irritationen geführt haben. So zum Beispiel die Löschung von kritischen Passagen im Artikel über den Daimler-Konzern durch einen unangemeldeten Benutzer, der über die IP-Adresse dem Unternehmen zugeordnet werden konnte. Um solche Konflikte zu vermeiden, sollte besonders in größeren Unternehmen der Umgang mit der Wikipedia unternehmensweit geregelt sein. Im Rahmen einer Social Media Policy kann festgelegt werden, dass sich alle Mitarbeiter an das Transparenzgebot der Wikipedia halten oder dass Bearbeitungen grundsätzlich nur in Abstimmung mit der Unternehmenskommunikation erfolgen.

Schrittweises Vorgehen

Beim eigentlichen Bearbeiten des Artikels sollten Unternehmen nicht der Versuchung erliegen, den kompletten Artikel in einem Schritt durch eine neue Version zu ersetzen. Solche Komplett­über­arbeitungen werden nur selten akzeptiert, weil es auch erfahrene PR-Manager trotz sorgfältiger Vorbereitung meist nicht schaffen, die vielen geschriebenen und ungeschriebenen Konventionen der Wikipedia beim ersten Anlauf zu beachten. In der Konsequenz werden die Änderungen dann wieder rückgängig gemacht und ein erneuter Anlauf wird damit deutlich erschwert.

Nachhaltiger ist ein schrittweises Vorgehen, um sich selbst und die Community nicht zu überfordern. Durch kleine, unkritische Änderungen können neue Autoren zunächst unter Beweis stellen, dass sie ernsthaft an der Verbesserung der Wikipedia interessiert sind und die Regeln der Zusammenarbeit verstanden haben. Zum Einstieg bietet sich die Aktualisierung der Unternehmensdaten an. Wichtig ist dabei die Angabe von Quellen. Im Fall von Unternehmensdaten ist dafür in der Regel ein Link auf die eigene Website ausreichend. Aussagen, die Wertungen enthalten, erfordern hingegen immer externe Quellen wie Medienberichte.

Besonders dankbar ist die Wikipedia-Gemeinschaft für Bildmaterial. Denn die Bebilderung von Unternehmensartikeln ist oft mangelhaft. Damit Abbildungen jedoch für die Wikipedia akzeptabel sind, müssen diese unter einer freien Lizenz verfügbar sein, die jedermann das Recht einräumt, die Inhalte zu verbreiten. Etabliert hat sich dafür der Lizenzbaukasten von Creative Commons, mit dem Urheber festlegen können, unter welchen Bedingungen ihre Werke verbreitet werden dürfen. Auf der eigenen Website oder zum Beispiel auf Flickr können Bilder einfach mit dem entsprechenden Lizenzhinweis (CC-BY oder CC-BY-SA) markiert werden. Wichtig: unbedingt vorher klären, ob die Vereinbarungen mit den Fotografen eine solche Lizensierung zulassen. Wenn die Bilder unter CC-Lizenz zur Verfügung stehen, hilft meist ein kurzer Hinweis auf der Diskussionsseite, damit sich ein erfahrener Autor die Bilder in die Wikipedia überträgt.

Den eigenen Artikel beobachten

Auch wer sich nicht selbst aktiv in die Wikipedia einmischen möchte, sollte in jedem Fall den eigenen Artikel laufend unter Beobachtung halten. Oft genug haben Unternehmen so frühzeitig von aufkommenden Kommunikationskrisen erfahren und haben sich so rechtzeitig auf Presseanfragen vorbereiten können. Denn gerade unter Journalisten ist die Wikipedia eine gern genutzte Quelle – auch wenn die meisten von ihnen das sicher nur ungern zugeben werden.

Die Beobachtung ist dank der systembedingten Transparenz der Wikipedia recht einfach. Jeder Artikel verfügt über einen RSS-Feed, der über sämtliche Änderungen am Artikel informiert. Ebenso einfach können auch Änderungen an der zugehörigen Diskussionsseite verfolgt werden. Auch die Zugriffszahlen lassen sich leicht ermitteln. Unter http://stats.grok.se können die Seitenaufrufe für einzelne Artikel tagesgenau verfolgt werden.

Was tun bei Schwierigkeiten?

Bei Problemen mit der Darstellung des eigenen Unternehmens, gibt es verschiedene Vorgehensweisen. Die bereits erwähnte Möglichkeit von Hinweise auf der Diskussionsseite ist nicht in jedem Fall ausreichend. So kann es vorkommen, dass ein Fehler Artikel besonders sensibel ist und man nicht weitere Aufmerksamkeit darauf lenken möchte. In diesem Fall kann es hilfreich sein, einzelne Autoren direkt anzusprechen, die bisher als besonders hilfreich oder konstruktiv aufgefallen sind. Darüber hinaus bietet die Wikipedia-Community auch einen E-Mail-Support an. Unter info-de@wikimedia.org erreicht man ein Team von freiwilligen, sehr erfahrenen Wikipedia-Autoren, die in Konfliktfällen weiterhelfen können.

Über den Autor: Arne Klempert ist erfahrener Wikipedianer, war mehrere Jahre Sprecher der deutschsprachigen Wikipedia und zuletzt Mitglied im internationalen Vorstand der Wikimedia Foundation. Als Director Digital bei der internationalen Kommunikationsberatung Fleishman-Hillard berät er Unternehmen bei der Kommunikation im Digitalen Raum mit Schwerpunkt Social Media.

Dieser Beitrag erschien erstmalig im August 2012 in der Zeitschrift Business+IT

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